Haben wir vielleicht zu viele Intensivbetten?

„Alle großen Dinge sind einfach, und viele können mit einem einzigen Wort ausgedrückt werden: Freiheit, Gerechtigkeit, Ehre, Pflicht, Gnade, Hoffnung“
Winston Churchill (britischer Politiker)

Ich habe mich schon häufiger mit dem Thema Intensivbetten beschäftigt. Seit Beginn der Pandemie haben deutsche Kliniken massiv Betten abgebaut. Während im April 2020 noch 30.000 Betten verfügbar waren, so sind es jetzt gemeäß DIVI noch gut 22.000. die etwa 3.000 Intenbsivbetten für Kinder berücksichtige ich hier nicht.

Wie sieht das im internationalen Vergleich aus?

In diesem Zusammenhang hat der Arzt Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin, gegenüber der Welt ein Interview gegeben. Dort wird gesagt, dass Deutschland viermal mehr Intensivbetten als Großbritannien, sechsmal mehr als Schweden und doppelt soviele wie Frankreich hat. Auch im Vergleich zu anderen Ländern sieht das nicht anders aus.

Dieses Aufstellung stammt aus dem Jahre 2020. Eine aktuellere habe ich leider nicht gefunden. Wie sie sehen, ist hier Deutschland mit über 33 Betten auf 100.000 Einwohnern unangefochten vorne. Selbst wenn man berücksichtigt, dass 2020 etwa 8.000 Betten abgebaut wurden, stehen wir mit ca. 27 Intensivbetten auf 100.000 Einwohner immer noch an der Spitze der Rangliste.

Damit ist Deutschland immer noch besser ausgestattet als beispielsweise die USA. Im Vergleich zu Spanien verfügt Deutschland über die dreifache Anzahl an Intensivbetten. Gegenüber anderen Ländern ist der Unterschied noch größer.
Interessieren würden mich in diesem Zusammenhang die asiatischen Länder. Leider liegen mir dazu keine Zahlen vor. Ich meine aber einmal gelesen zu haben, dass Japan irgendwo um die zwanzig angesiedelt werden kann.
Trotzdem klagen unsere Intensivärzte ständig, sie seien überfordert. Notwendige Operationen müssten verschoben werden. Usw., usw.

Was sind notwendige Operationen?

Und da kann man schon einmal streiten. Es wird gerne gesagt, dass wir in Deutschland über eine Luxusmedizin verfügen. Es ist unbestritten, nirgendwo wird soviel operiert wie in Deutschland. Ich sehe das genauso.

Einige Beispiele

Haben sie sich schon einmal Gedanken gemacht über ein künstliches Knie? Bei den Jüngeren spiet das noch keine Rolle, aber man kann davon ausgehen, dass das ab 60 bei jedem mehr oder weniger ein Thema wird.
Wie sagte mal ein Kollege von mir:“ Rücken und Knieprobleme begannen mit dem aufrechten Gang.“
Nun, ich habe in beiden Knien eine ausgeprägte Arthrose. Das sei nicht unnormal in meinem Alter, so meine Orthopädin. „Aber so wie sie gehen, gehe ich davon aus, dass sie schmerzfrei sind.“ Also machen wir erst einmal gar nichts. Sie war Orthopädin bei der Bundeswehr, bekam ein geregeltes Gehalt. Ob da eine OP kam oder nicht, spielte für sie keine Rolle. Sie sagte aber, dass es Kollegen gäbe, die über eine Operation entschieden nach Ansicht des Röntgenbildes. Dadurch kommt es natürlich viel schneller zu einer Operation. Eine vernünftige Physiotherapie könnte häufig hilfreich sein und vor allem preiswerter. Leider verdient der Arzt da nichts dran.
Genau das Gleiche gilt auch für Rücken und Hüftoperationen. Und all diese Patienten müssen nach der OP zunächst auf Intensiv. Ich wüsste gerne einmal, wieviele Operationen man auf diesem Wege einsparen könnte.

Zweites Beispiel

Da es in den meisten Kreisen und Gemeinden keinen ärztlichen Bereitschaftsdienst mehr gibt, sind die Patienten auf die Krankenhäuser angewiesen. Auch so eine Errungenschaft, die unter Ulla Schmidt mit Beratung durch KL eingeführt wurde. Und wenn sich da die Ärzte nicht so ganz sicher sind, dann wird der Patient stationär aufgenommen.
Busse sagt dazu.“ Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei 50 Prozent… Üblich ist die Hälfte, also 25 Prozent.“
Also irgendwie hatten die Ärzte früher mehr Arsch in der Hose.
Ist bei diesem Patient die Diagnose unklar, dann verlegt man ihn auch schon einmal auf die Intensivstation. Da kann man ihn besser überwachen, da ist der Personalschlüssel höher.

Einweisung bei kleineren Notfällen

Auch bei kleineren Notfällen ist man heute sehr schnell im Krankenhaus. Ich kenne mehrere Fälle, wo Kollegen bei großer Hitze eine kleine Kreislaufschwäche hatten. Man rief den Rettungsdienst, die Person kam ins Krankenhaus. Es war nicht selten, dass sie dort mehrere Tage lag. Man musste ja die Ursache finden. Hat man dann aber trotzdem nicht. Früher hätte man gesagt:“ Geh nach Hause, leg dich hin und bitte, viel trinken.“ Das hätte da auch gereicht.
Busse sagt dazu:“ An einem durchschnittlichen Tag vor Corona lagen in Deutschland 380.000 Personen im Krankenhaus. Derzeit sind es übrigens nur circa 325.000. Wenn wir Strukturen wie in Dänemark hätten, wären es schon vor Corona 160.000 gewesen, also weniger als die Hälfte.“
Glücklicherweise verlegt man die nicht automatisch auf die Intensivstationen.

Schwerkranke Menschen

Lassen wir noch einmal Busse zu Wort kommen:“ Hinzu kommt, dass auf deutschen Intensivstationen auch schwerkranke Menschen liegen mit sehr geringer Überlebenschance, selbst mit modernsten Geräten nicht. Es sind häufig Menschen, denen man mit einer Therapie keinen Gefallen erweist.“
Wer hat nicht schon von Fällen gehört, wo Koma-Patienten mehrere Wochen, ja Monate auf der Intensivstation liegen. Und selbst wenn der Patient nach einer so langen Zeit wieder aus dem Koma erwacht, wird er nicht ohne Einschränkungen sein. Warum wartet man in solchen Fällen so lange mit dem Abschalten der Maschinen?

Besonders interessant ist es dann, wenn es um alte, schwerkranke Menschen geht. Mein Vater war dement im fortgeschrittenen Stadium. Er wurde schon mit einer Sonde künstlich ernährt. Dann kam eine Lungenentzündung dazu, nicht unüblich bei solchen Krankheitsverläufen. Er wurde mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus verbracht und starb dort drei Tage später auf der Intensivstation. War da die Intensivstation wirklich noch nötig?

Es gibt aber auch Gegenbeispiele, wo ältere Menschen im Kreise ihrer Familie ihren letzten Atemzug tun. Ich finde, das ist dann der Rahmen, der der Menschenwürde am ehesten entspricht. das sollte der Regelfall sein, eigentlich.
Dem Grunde nach dürfte auf der Intensivstation kein Mensch versterben. Es sei denn, es handelt sich um Schwerverletzte nach Unfällen oder akut Erkrankte wie bei einem Schlaganfall oder Herzinfarkt.
Die anderen gehören meines Erachtens auf eine Palliatv-Station, wo man den Patienten den letzten Weg so leicht wie möglich gestaltet. Am besten gehören sie aber in den Kreis ihrer Familie. Betreung von einem Palliativmediziner ist auch dort möglich.

Fazit

In Deutschland liegen definitiv mehr Menschen in den Krankenhäusern als notwendig. Das gilt natürlich auch für die Intensivmedizin. Und wenn dann ein Intensivmediziner im Zusammenhang mit Corona sagt, man habe zunächst die leichteren Fälle von der Intensivstation auf die Normalstation verlegt, dann darf man durchaus fragen, warum dieser Patient überhaupt auf Intensiv gelegt worden ist.

Ich stimme Busse somit durchaus zu. Wir haben nicht zu wenig Intensiv- oder Krankenhausbetten, sondern wir gehen nicht sorgfältig genug mit dieser Ressource um.

Das erfordert aber zwei Dinge

Erstens: Man muss den Patienten und Angehörigen wieder deutlich machen, dass Ärzte und auch die beste Medizin kein ewiges Leben garantieren. Man muss insbesondere den Angehörigen klar machen, dass es dem Ende zu geht. Und dass sie jetzt eine wichtige Aufgabe haben. Nämlich ihren Angehörigen in Menschenwürde auf seinem letzten Weg begleiten. Und das muss nicht auf der Intensivstation sein.

Zweitens: Wir müssen den Ärzten den Rücken stärken. Ein Arzt, der sagt, das ist das Ende, eigentlich sollten wir die Maschinen abschalten, ist weiß Gott kein Mörder. Allerdings kommen wir hier schnell in den Bereich der „Unterlassenen Hilfeleistung“ bzw. der „Sterbehilfe.“ Das sind aber dann Dinge, die der Gesetztgeber entsprechend ausgestalten muss.
Ich glaube, das sind Themen, die sind viel wichtiger als Gender und Klima.

Nachwort

Ich hänge ihnen drei Links an.
Die ersten Beiden sind Links zu verschiedenen Statistiken, die zum Thema gehören. Insbesondere der bei indexmundi ist gut. Als dritten Link füge ich das komplette Interview bei, leider verbirgt sich das aber hinter einer Bezahlschranke und ist nur von denen lesbar, die ein entsprechendes Abo haben.

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1111057/umfrage/intensivbetten-je-einwohner-in-ausgewaehlten-laendern/

https://www.indexmundi.com/g/r.aspx?v=2227&l=de

https://www.welt.de/politik/deutschland/plus235792668/Gesundheitsoekonom-Busse-Wir-haben-so-viele-Patienten-weil-wir-so-viele-Krankenhaeuser-haben.html?icid=search.product.onsitesearch

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