Überlegungen zur Sterbehilfe
„Wir wissen, dass die Begriffe Arbeit und Menschenwürde nicht sentimentale Utopien sind, eitle Hoffnungen oder rhetorische Schnörkel. Sie sind die schöpferischsten Kräfte der ganzen Welt.“
Harry S. Truman
Der Gesetzgeber tagt
Es taucht in der politischen Diskussion immer wieder einmal auf. Das Parlament diskutiert über die Frage der Sterbehilfe. Und natürlich gibt es unterschiedliche Lager. Vor wenigen Tagen ist dann dieses Thema wieder einmal in den Nachrichten aufgetaucht. Und ich denke, dass es sich lohnt, einmal darüber nachzudenken.
Vielleicht halten sie das Thema für irrelevant. Mag sein. Aber ich selbst habe schon Fälle erlebt, wo man sich durchaus die Frage hätte stellen können, ob hier nicht Sterbehilfe angebracht gewesen wäre.
Stellen sie sich nur einen schwer kranken Menschen vor. Heilung ist nahezu ausgeschlossen. Er siecht so vor sich hin und erwartet sehnsüchtig sein Ende. Er weiß, dass seine letzten Tage, vielleicht auch Wochen, nur noch Qual für ihn bedeuten. Und er weiß auch, dass er für sein Umfeld nur noch eine Belastung ist. Und nun äußert er die Bitte, er möchte jetzt sterben, und sie mögen ihm dabei helfen.
Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Eine schwere Entscheidung und eine höchst individuelle Entscheidung. Und dabei auch noch illegal. Zur Zeit noch.
Der Artikel 1 im Grundgesetz
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ So steht es im Absatz eins des oben genannten Artikels. Ich will jetzt keine juristische Abhandlung erstellen. Aber dieser Artikel im Grundgesetz ist eigentlich die entscheidende Grundlage für unser Zusammenleben in Deutschland.
Aber haben sie schon einmal darüber nachgedacht, was diese Menschenwürde überhaupt ausmacht? Wenn sie da einfache Definitionen suchen, dann werden sie keinen Erfolg haben. Es dürfte auch viele philosophische Ansätze geben. Aber für eine einfache Antwort dürften die auch nicht ausreichen.
Die Menschenwürde aus meiner Sicht
Für mich entscheidend ist dabei ein selbstbestimmtes Leben. Ich allein bin für mich verantwortlich. Und nur ich kann für mein Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. Das gilt allerdings nicht nur für die juristische Seite, sondern enthält sicherlich auch moralische Komponenten. Hier spielen ethische Betrachtungen durchaus auch eine Rolle.
Wie dem auch sei. Ein entscheidender Faktor ist die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Individuums. Dass unsere Kleinsten da am Anfang noch Hilfe brauchen, dürfte klar sein. Und es ist eine Kunst, den Zeitpunkt zu erkennen, wo sie dieser Hilfe nicht mehr bedürfen. Sie kennen diesen klassischen Satz, „aber wir wollten doch nur das Beste für Dich…“. Meistens ist diese Aussage aber schon das Eingeständnis, dass man wohl irgendwas falsch gemacht hat.
Über die Zeit während der Corona-Pandemie, wo der Staat uns immer gesagt hat, was gut für uns ist, will ich mich gar nicht großartig auslassen. Es steht für mich aber fest, dass der Staat da in vielen Fällen massiv gegen den Artikel eins verstoßen hat. Aber das ist ein anderes Thema.
Selbstbestimmung
Nähern wir uns aber jetzt dem eigentlichen Thema an. Man könnte jetzt fragen, wann das mit der Selbstbestimmung eigentlich anfängt oder auch aufhört. Da ist meine Meinung eindeutig. Sie beginnt mit der Geburt und sie endet mit dem Tod. Ich will noch einmal betonen, das gilt für die Selbstbestimmung. Die Menschenwürde geht deutlich darüber hinaus. Pietätsfragen spielen nämlich auch nach dem Tod noch eine Rolle. Auch das begründet sich in der Menschenwürde. Oder denken sie einmal über das Thema Schwangerschaftsabbruch nach.
Aber zurück zur Selbstbestimmung. So wie ich über mein Leben selbst bestimmen möchte, so möchte ich auch in meinem Sterben nicht fremdbestimmt sein. Ich selbst will festlegen wie, wann und wo ich sterbe. Und es soll mir dann keiner kommen, aber das geht doch nicht. Du kannst doch nicht einfach gehen. Du hast doch noch Verantwortung…
Verantwortung? Für wen oder was eigentlich? Für meine Kinder? Die sind groß, die haben ihr eigenes Leben. Und die Enkel? Bin ich denen gegenüber wirklich noch verantwortlich? Keine Angst. Ich habe derzeit nicht die Absicht einfach abzuhauen. Wirklich nicht. Und ich weiß, dass mich meine Enkel lieben. Naja, die Oma vielleicht noch ein bisschen mehr. Ich weiß es nicht. Die Oma ist zum Spielen und Kuscheln, der Opa zum Toben. Da sind die Rollen klar verteilt. Hoppla, ich schweife schon wieder ab.
Also noch einmal die Frage, für was bin ich noch verantwortlich? Ja, eine gewisse Verantwortung habe ich noch gegenüber meiner Frau. Nicht, dass sie nicht alleine zu Rande kommen würde. Ich muss nicht auf sie aufpassen. Aber eine Partnerschaft ist mehr als nur eine Wirtschaftsgemeinschaft. Zumindest sehe ich das so.
Eigentlich wollte ich aber nur sagen, dass die Selbstbestimmung in meinen Augen auch den letzten Weg, die letzten Stunden meines Lebens umfasst.
Der Artikel 2 GG
Bevor ich mich weiter zur Frage Sterbehilfe äußere, müssen wir auch noch einen Blick in den Art. 2 GG werfen. Dort steht im Absatz 1, „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt…“
Ich bin für mich selbst verantwortlich. Ich entscheide auch, wie, wann und wo ich sterben möchte. In der Regel sind wir Menschen aber zu feige, selbst an uns Hand anzulegen. Wenn wir das Leben beenden wollen, aus welchen Gründen auch immer, dann suchen wir dafür einen möglichst gnädigen Weg. Vor allem schmerzfrei soll er sein. Und dafür brauchen wir unter Umständen Hilfe. Wenn ich jetzt zu einem Arzt gehe und von ihm ein todbringendes Medikament verlange, dann erwarte ich eigentlich, dass er ein Tötungsdelikt zumindest mittelbar unterstützt. Und genau das ist der „Kasus Knacktus“. Damit ich meinen Willen bekomme, nötige ich einen anderen möglicherweise gegen seine ethischen Grundsätze zu verstoßen. Die strafrechtlichen Konsequenzen will ich hierbei außer Acht lassen. Die werden ja möglicherweise in Kürze geändert.
Ich kann also durchaus fordern, dass mir ein Arzt bei meinem Freitod Hilfe leistet. Genau so muss ich ihm aber zugestehen, dass er dieses Ansinnen aus ethischen Gründen ablehnt. Wie er damit klar kommt, dass das für mich möglicherweise ein qualvolles Ableben verursacht, das ist seine Sache. Mit Tieren ist man häufig gnädiger.
Die rechtliche Seite
Vieles kann der Staat regeln. Gott sei Dank kann er mir aber nicht Moral anordnen, auch wenn er das in den letzten Jahren immer wieder versucht.
Nur mal so nebenbei, wussten sie schon, dass es mittlerweile moralisch hochwertige Aktienfonds gibt? Wurden mal bei WISO im ZDF propagiert.
Und moralische Fragen sind nun einmal höchst individuell. Ich kann es durchaus nachvollziehen, dass ein Arzt ein Problem damit hat, jemanden beim Sterben zu unterstützen. Denn eigentlich ist er doch dem Erhalt von Leben verpflichtet.
Euthanasie
Gegner der Sterbehilfe argumentieren gerne mit dem Begriff Euthanasie. Sie verbinden das mit dem Nationalsozialismus. Allerdings wurde dieser Begriff von den Nazis beschönigend missbraucht. Dort hat man ihn genutzt, wenn man Behinderte oder schwer Kranke umgebracht hat.
Heute würde man übrigens von habecken sprechen.
Der Begriff hat aber eigentlich eine ganz andere Bedeutung. Er kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus zwei Worten zusammen. Eu bedeutet gut, richtig oder schön. Und thanatos bedeutet Tod oder Sterben. In seiner wörtlichen Übersetzung heiße es also „schöner Tod“ oder auch „schönes Sterben“. Und ist es nicht interessant. Es gab diesen Begriff schon zu Zeiten der Griechen. Und seine ursprüngliche Bedeutung meint genau das, was wir auch heute unter Sterbehilfe verstehen. Es geht um die Unterstützung von Sterbenden in ihrer letzten Lebensphase. Es geht dem Grunde nach um eine Verkürzung der Leiden.
Wenn wir also über Euthanasie im ursprünglichen Sinn reden, dann meinen wir etwas Gutes.
Zurück zum Rechtsrahmen
Die Frage ist jetzt, wie gehen wir mit so etwas um. Ich bin mir fast sicher, dass sie schon irgendwann einmal in einer Situation standen, wo sie meinten es ginge nicht mehr weiter. Das können ziemlich banale Dinge sein. Und aus Angst oder Verzweiflung sitzen sie da und sagen, ich will nicht mehr. Meistens sind das nur sehr kurze Anwandlungen. Deshalb sollte bei einem Ersuchen auf Sterbehilfe schon etwas genauer hingeschaut werden. Vor allem sollte man sich Zeit nehmen. Natürlich ist es schwer prüfbar, ob der Wunsch auf Sterbehilfe wirklich ernsthaft ist. Wenn es einfach wäre, dann wäre es ja Fußball. Wenn aber ein Patient diesen Wunsch immer häufiger äußert, wenn erkennbar ist, dass es tatsächlich keine Linderung oder Heilung mehr geben wird, dann sollte man davon ausgehen können, dass es dem Kranken ernst ist.
In den Medien sickert zur Zeit durch, dass aus diesem Grund vor einer Sterbehilfe eine Beratung durchgeführt werden muss. Ob es dann ein oder zwei Beratungstermine sein sollen, dass spielt letztlich keine Rolle. Entscheidend ist, dass man danach relativ sicher sein kann, dass es dem Patienten ernst mit seinem Wunsch ist. Danach sollte dann auch die Sterbehilfe möglich sein.
Wichtig ist aber, dass ein entsprechendes Gesetz für den Arzt nicht verpflichtend sein darf. Ich sagte ja schon, es spielen auch ethische Fragen eine Rolle. Ein solches Gesetz kann also Sterbehilfe nur legalisieren. Eine Verpflichtung sollte es nicht geben.
In diesem Zusammenhang gibt es seitens der Kritiker sogar die Forderung, dass in einem solchen Falle zwei unabhängige psychiatrische Gutachten erstellt werden müssten. Das wäre für mich aber wieder einmal ein schwerer Verstoß gegen die Menschenwürde. Denn würde man diesem Antrag entsprechen, dann würde man den um Sterbehilfe Ersuchenden einem psychisch Kranken gleichsetzen. Und das wäre in meinen Augen dann mal wirklich eine Form der Diskriminierung.
Zusammenfassung
Dass die Bitte um Sterbehilfe vom Grundgesetz abgedeckt ist, hat das Verfassungsgericht erst kürzlich entschieden. Es hat den Bund auch aufgefordert, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der Sterbehilfe möglich macht. Somit ist der Rahmen also klar.
Die Legislative hat also jetzt einen klaren Auftrag. Ich halte es für richtig, dass es im Vorfeld abgeklärt werden muss, ob es dem Patienten wirklich Ernst mit seiner Absicht ist. Und ich bin auch der Meinung, dass dieses Beratungsgespräch von einer unabhängigen Stelle durchgeführt werden muss. Hier denke ich, dass die Beratungsstellen für Schwangerschaftsabbrüche eine gute Vorlage darstellen. Und wenn dann festgestellt wird, dass es dem Patienten ernst ist, und dass dem Patienten auch nicht mehr geholfen werden kann, dann sollte die Sterbehilfe auch legal möglich sein.
Ein letztes Wort zu den Patientenverfügungen. Ich bin sogar der Meinung, dass Sterbehilfe auch bei Vorliegen einer Patientenverfügung möglich sein sollte. Allerdings muss dann der Wille des Patienten eindeutig erkennbar sein. Das könnte beispielsweise in Frage kommen bei Komapatienten oder an Demenz Erkrankten.
Und zum Schluss wiederhole ich noch einen wichtigen Punkt. Das Recht auf Sterbehilfe ist für mich ein Muss. Denn das ist ein Bestandteil meiner Menschenwürde. Ein Pflicht zur Sterbehilfe darf es nicht geben. Auch das ein Bestandteil der Menschenwürde. In diesem Fall halt auf der anderen Seite.
Eine fundierte Analyse.
Gütti, Du sprichst mir aus der Seele!
Hier noch einige Gedanken zu diesem Thema:
https://interlocking-compilation.mozello.de/seite-9/