Nach 50 Jahren ist das Assad-Regime gestürzt
„Mit fast tödlicher Sicherheit bewegen wir uns auf ein Zeitalter totalitärer Diktaturen zu.“
George Orwell
Das Assad-Regime ist besiegt
50 Jahre hat der Assad-Clan über Syrien geherrscht. 50 Jahre Willkürherrschaft, Korruption, Folter und was sie sich sonst noch vorstellen können.
Und dann treten Rebellen auf den Plan, die Assad in die Wüste schicken. Das syrische Volk atmet auf. Der Westen feiert. Endlich Freiheit. Und man hofft, dass die neuen Herrscher ein demokratisches System installieren. Aber gibt es dafür überhaupt einen Grund?
Patriarchalische Systeme
In den meisten islamischen Staaten herrscht das Patriarchat. Das heißt, der Rangälteste bestimmt die Geschicke seines Clans. Und der stärkste Clan beherrscht das Land. Ein gesamtstaatliches Sozialverständnis gibt es in diesen Staaten nicht. Letztendlich ist nur die Frage, welcher Clan gerade die Macht innehat. Und wenn man den einen Clan ausschaltet, dann kommt ein anderer.
Es gibt dafür viele Beispiele. Zwei sind dabei besonders einprägsam.
Erinnern wir uns an die Golfkriege im Irak 1990 und 2003. Dort hat eine von den Amerikanern geführte Koalition den damaligen Diktator Sadam Hussein gestürzt. Auch hier hat man gehofft, dass es jetzt Raum gibt für eine junge Demokratie. Natürlich ist es in den Medien ruhig geworden um den Irak. Aber der Irak ist weder eine Demokratie noch ist es in der Region ruhig. Die Machtverhältnisse haben sich verändert. Aber von einer Demokratie ist man meilenweit entfernt.
Ähnlich ist es auch in Libyen geschehen. Dort hat sich 1969 Muammar al-Gaddafi an die Macht geputscht. Auch er herrschte mit eiserner Hand. Drangsalierung, Folter waren die Werkzeuge. Man kann ja alles hinterfragen, Aber unter seiner Knute war das Land einigermaßen ruhig. Irgendwann wurde es dann dem Westen aber zu bunt. 2011 wurde er dann aus dem Amt vertrieben, wieder mit westlicher Unterstützung. Man hat dann zwar versucht, eine demokratische Regierung zu installieren. Diese neue Regierung hatte aber nie die Macht über das gesamte Land. Es zerfiel in einen Ost- und Westteil. 2019 kam es zu einem militärischen Konflikt, in dem ostlibysche Streitkräfte unter General Chalifa Haftar eine Invasion im westlichen Teil durchführten. Es kam zwar zu einem Abkommen, das Land ist aber weiterhin geteilt. Auch Libyen ist von einer Demokratie meilenweit entfernt.
Regionale Machthaber
Gerade der Westen unterliegt häufig einem gewaltigen Irrtum. Viele glauben nämlich, dass man eine Diktatur dadurch beenden kann, indem man den Diktator ausschaltet. Leider funktioniert das nicht. Denn in dem Moment, wo man den Machthaber eliminiert, entsteht ein Machtvakuum, in den verschiedene Interessensgruppen hineinstoßen wollen. Wer glaubt, dass das gewaltfrei vonstattengeht, der glaubt auch dass Zitronenfalter Zitronen falten.
Übertragen wir das einmal auf Syrien. Assad ist weg. Mit ihm auch der russische und iranische Einfluss. Auch wenn es derzeit nicht so aussieht, Syrien dürfte noch eine lange Zeit der Instabilität vor sich haben. In wieweit die neuen Machthaber das Machtvakuum ausfüllen können, bleibt abzuwarten.
Auf dem Weg in eine Demokratie?
Einige westliche Regierungschefs haben schon die Hoffnung geäußert, dass es möglicherweise eine demokratische Regierungsform gebe.
In diesem Zusammenhang sollte man sich aber erste einmal den neuen Chef im Ring genauer anschauen. Der Rebellenführer Abu Muhammad al-Dschaulani ist nämlich kein unbeschriebenes Blatt. Auch die von ihm geführte Organisation Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) ist nicht gerade als Musterbeispiel für Demokratie bekannt. Vielmehr deutet darauf hin, dass die HTS möglicherweise ein Nachfolger der al-Qaida nahen al-Nusri-Front sein könnte. Es handelt sich also um eine radikal-islamische Bewegung. Dschaulani ist auch als Dschihadist bekannt. Wer also glaubt, dass mit dieser Bewegung eine gemäßigte Demokratie möglich ist, der dürfte einem großen Irrtum unterliegen.
Natürlich gibt sich Dschaulani zunächst höchst moderat. Noch sitzt er nicht fest im Sattel. Und er braucht die internationale Anerkennung. Dass da fundamentalislamistische Parolen nicht helfen, weiß auch der. Und trotzdem hat er schon angekündigt, einen nationalislamistischen Staat aufzubauen. Was immer das bedeuten mag, nach Demokratie hört sich das jedenfalls nicht an.
Ein Blick nach Afghanistan
Ähnlich verlief auch die Übernahme Afghanistans durch die Taliban. Auch die gaben sich zunächst höchst moderat. Als sie dann fest im Sattel saßen, zogen sie nach und nach die Zügel fester an. Mittlerweile haben Frauen in der Öffentlichkeit sogar Sprechverbot. Die Scharia ist wieder vollumfänglich eingeführt. Ich weiß es nicht genau, aber mein Eindruck ist, dass das islamische Recht hier mittlerweile schärfer umgesetzt wird als im Nachbarstaat Iran. Und den bezeichnen ja viele als Schurkenstaat.
Eine ähnliche Entwicklung erwarte ich auch in Syrien. Genau in dem Moment, wo man fest im Sattel sitzt, wird man die Daumenschrauben wieder anziehen. Alles andere würde mich überraschen.
Was mich wundert
Kaum ist Assad gestürzt, stürzen Syrer auf die Straßen und feiern. Und das nicht nur in Syrien. Auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Wissen die nicht, wer da die Macht ergriffen hat? Noch erstaunlicher ist, dass unverschleierte Frauen den Sieg der HTS feiern. Denn wenn Dschaulani tatsächlich einen islamischen Staat errichtet, dann dürfte es mit dieser Freizügigkeit bald vorbei sein. Ein Grund zum Feiern gibt es meines Erachtens leider nicht.
Die politische Lage
Macron und Scholz haben schnell verkündet, dass sie mit der neuen Regierung zusammenarbeiten wollen. Bedingung sei aber die Einhaltung von Menschenrechten und der Schutz von Minderheiten. Ich gehe davon aus, dass andere Länder der EU dem folgen werden. Viel zusammenarbeiten werden sie allerdings nicht müssen, da es genau an diesen beiden Forderungen scheitern dürfte. Zunächst wird Dschaulani darauf eingehen, aber sobald westliches Geld fließt, dürfte es das dann gewesen sein.
Viel wichtiger ist aber die Rolle der Türkei, die die HTS massiv unterstützt haben soll. Dies dürfte zwei Gründe haben. Zum einen werden sich syrische Flüchtlinge schnell aus der Türkei verabschieden. Zum zweiten dürfte der türkische Einfluss in der Region steigen. Und wir wissen ja, Erdogan träumt von der Wiederauferstehung des osmanischen Reiches.
Russland und der Iran haben allerdings deutlich an Einfluss verloren. Wenn das dann auch noch Auswirkungen auf die vom Iran unterstützten Terrororganisationen Hamas und Hisbollah hätte, dann könnte man der Situation wenigstens etwas positives abgewinnen.
Fazit
Auch wenn ein Diktator weg ist, so besteht kein Grund zu unbegrenzter Freude. Man sollte erst einmal abwarten, wie die Lage sich weiterentwickelt. Ich persönlich bin da allerdings wenig optimistisch. Auf der anderen Seite lasse ich mich auch gerne einmal positiv überraschen. Also warten wir es erst einmal ab
Wahrscheinlich gibt es (wie beim Menschen) auch bei Gesellschaften eine Art Entwicklung. Von der Kindheit über die Pubertät zum Erwachsenenalter bis hin zum (gereiften) Greisenalter. Bis hin zum Tod. Das ist das Ende jeder Entwicklung; selbst des Universums.
Wie sagte Albert Schweitzer über seine schwarzen Mitmenschen: „Ich bin dein Bruder, dein älterer Bruder“.
Die Muslimen sind halt erst im Jahr 1442. Wenn man bedenkt, was bei uns „Abendländern“ im 15. Jahrhundert (nach unserer Zeitrechnung) los war, kann man ermessen, auf welchem Entwicklungsstand die muslimische Kultur ist.
Wahrscheinlich wird es in Syrien genauso ablaufen wie in Persien, in Lybien, im Irak nach der Vertreibung des „starken Mannes“, der mit Gewalt die unterschiedlichen Interessengruppen zusammenhielt.
Man kann einen Kindergarten oder eine Gruppe Pubertierender sich nicht selbst überlassen.