Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern derjenige, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.
Jean-Jacques Rousseau
Zu diesem Thema hatte ich schon im Mai 2020 einen Leserbrief für die lokale Zeitung verfasst, der sogar veröffentlicht wurde. Mir war damals aufgefallen, welche mediale Aufmerksamkeit den an oder mit Corona Verstorbenen zu Teil wird. CoViD-19 ist eine gefährliche Krankheit, und es war klar, dass Menschen daran erkranken. Letztendlich war auch klar, dass irgendwann Menschen daran versterben würden. Trotzdem war der erste Tote im Landkreis Nienburg eine Schlagzeile wert.
Seitdem werden die Corona-Toten gezählt. Das ist an sich nicht schlimm, statistische Daten sind unter Umständen für weiteres politisches Handeln erforderlich. Dass man sie aber täglich veröffentlicht, fast wie Wasserstandsmeldungen an Flüssen bei Hochwasser, halte ich zum einen für völlig überzogen, in gewisser Weise sogar für pietätlos. Letztendlich dienen diese Meldungen doch nur einem Zweck: halte die Panik hoch, denn dann akzeptieren die Bürger all diese Einschränkungen.
Jetzt hat der Bundespräsident sogar noch einen draufgesetzt. Er hatte zu einem Gespräch mit Hinterbleibenen eingeladen. Er sprach auch davon, dass Menschen verstarben, ohne dass sich die Angehörigen von Ihnen verabschieden konnten. Das ist meines Erachtens aber nicht in der Wirkung des Virus zu suchen, sondern viel mehr in den Beschlüssen der Bundes- und Landesregierungen, die solche Isolationsmaßnahmen verordnet hatten.
Und jetzt soll am 18. April in Berlin eine Gedenkfeier mit der Staatsspitze, Hinterbliebenen und je nach Pandemielage möglicherweise weiteren Gästen stattfinden. Dazu sagte er: „Als Bundespräsident halte ich es für sehr wichtig, dass wir innehalten, um gemeinsam in Würde Abschied zu nehmen von den Verstorbenen in der Zeit der Pandemie – auch von jenen, die nicht dem Virus zum Opfer gefallen sind, aber genauso einsam gestorben sind.“
Er bezieht zwar auch die mit ein, die nicht dem Virus zum Opfer gefallen sind, aber wirklich glaubhaft erscheint mir das nicht. Wieso ist diese Veranstaltung gerade jetzt anberaumt? Und warum hat er zu diesem Gespräch ausschließlich Angehörige von Coronatoten eingeladen?
Ist ihm nicht klar, dass von den 980.000 Toten im vergangenen Jahr (März 20 – März 21) nur 70.000 Menschen an Corona verstorben sind. Natürlich ist jedes dieser Einzelschicksale traurig, trifft das aber auf die 910.000 anderen nicht genauso zu?
Ich möchte noch einen Gedanken hinzufügen. Ich habe dabei nicht die Absicht, irgendeinem zu Nahe zu treten. Aber all diese Coronatoten sind an einer sicherlich schweren Krankheit verstorben. Ob mit oder an Corona will ich dabei völlig außer Acht lassen, für die Hinterbliebenen ist das auch völlig egal.
Aber auch Krebskranke sterben an einer schweren Erkrankung, und ca. 40 % aller Verstorbenen sterben an schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Für mich heißt das, dass es nicht unnormal ist, infolge einer schweren Erkrankung zu versterben. Dass dafür aber Staatstrauer angesetzt werden soll, ist für mich neu.
Für mich ist der Tod eines Angehörigen eine sehr private Sache. Dafür brauche ich keinen Bundespräsidenten. Und ob Corona oder etwas anderes die Ursache ist, ist mir völlig egal.
Ich war kürzlich von solch einem Fall betroffen, und weiß wovon ich rede.
In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage, warum wir Menschen, insbesondere in der sogenannten zivilisierten Welt, die Fähigkeit verloren haben, den Tod als etwas natürliches zu empfinden, den Tod als etwas normales zu akzeptieren. Dass Trauer dazu gehört, ist für mich kein Widerspruch.
Ich glaube, darüber werde ich mir in einem weiteren Beitrag einmal Gedanken machen.
https://www.tagesschau.de/inland/steinmeier-gedenken-corona-opfer-101.html