„Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel. Man weiß nie was drin ist.“
Forrest Gump
In den Letzten Wochen überschlagen sich die Meldungen über die Ukraine. Russland habe 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Der Angriff stünde unmittelbar bevor. Selbst ein Datum war schon genannt, der 14. Februar sollte es sein. Ein Angrif sei nicht mehr vermeidbar. Gemäß einer Aussage unseres Philosophen im Wirtschaftsministerium wird es zu einer Schlacht zwischen Panzerarmeen kommen. Also was da so alles diskutiert wird. Wieder einmal steht der Weltuntergang bevor.
Und ich fange wieder einmal an, nachzudenken. Ich ich bin immer noch kein Wissenschaftler. Aber ich verfüge immer noch über meinen gesunden Menschenverstand. Zumindestens glaube ich das. Also bringe ich wieder einmal meine grauen Zellen in Bewegung und stelle die eine oder andere Überlegung an. Ich kann dabei mit meinen Überlegungen völlig daneben liegen. Vielleicht aber auch nicht.
Nochmal zurück zur Anfangsfrage. Kommt es jetzt zum großen Krieg? Ich weiß es nicht. Ich werde es auch am Ende der Abhandlung nicht wissen. Aber ich werde mal Dinge beleuchtet haben, die in der täglichen Berichterstattung kaum zur Geltung kommen. Auch beim Presseclub am Sonntag habe ich verschiedene Aspekte völlig vermisst. Letztendlich läuft die Berichterstattung auf ein Narrativ hinaus: der böse Russe, der gute Amerikaner.
Die Großmächte
Derzeit gibt es meines Erachtens nur drei Großmächte auf der Erde. Das sind die USA, China und natürlich Russland. Ich will diese nicht näher betrachten. Das würde zu weit führen. Und China will ich überhaupt nicht weiter betrachten, weil es im Ukraine-Konflikt keine offensichtliche Rolle spielt.
Die Amerikaner
Die USA betreibt eigentlich schon immer eine selbstbezogene isalotionistische Interessenspolitik. Auch wenn wir Europäer häufig glauben, die Amerikaner seien so etwas wie eine Weltpolizei, so sollten wir schnell erkennen, dass das ein schwerer Irrtum ist. Moral spielt bei den Interessen der USA eher eine untergeordnete Rolle. Allerding fassen die Amerikaner ihre Sicherheitspolitik sehr weit. So sind auch schon Sicherheitsinteressen der USA berührt, wenn Handelswege gefährdet sind. Daher rührt auch das weltweite militärische Engagement der USA. Die Stärke der USA stützt sich dabei auf Militär und Wirtschaftskraft.
Die Russen
Die Sicherheitsinteressen Russlands beschränken sich auf den Kontinent, aber auch dort weit gefasst. Zum Sicherheitsinteresse Russlands zählt nicht nur das Staatsgebiet an sich, sondern auch all die Regionen, in denen Russen leben. Ob das Gebiet der ehemaligenn Sowiet-Union dabei eine Rolle spielt, kann ich nicht beurteilen. Dabei sieht Russland die NATO als amerikanisches Machwerk. Und somit ist die NATO insgesamt ein politischer und miltärischer Gegner. Die Stärke Russlands stützt sich dabei auf Militär und große Rohstoffvorkommen. Und nicht nur Europa ist vom russischen Öl und Gas abhängig. Auch die USA importieren Öl und andere Rohstoffe aus Russland. Wirtschaftliche Verknüpfungen mit China haben sich in der Vergangenheit gut entwickelt. So kann russland seine Rohstoffe auch gut nach China exportieren. Damit wird die Abhängigkeit vom Westen deutlich geringer.
Die Rolle der EU
Weder die USA noch Russland dürften die EU als ernsthaften Kunkurrenten ansehen. Dazu sind die einzelnen Länder zu zerstritten. Es gibt zwar eine gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik (GASP), aber wenn man nur mal die Flüchtlingspolitik betrachtet, dann erkennt man, was das für ein zahnloser Tiger ist.
Das gleiche Bild entsteht derzeit im Umgang mit der Ukraine-Krise. Allein die Frage, Militäreinsatz ja oder nein, zeigt deutlich die Diskrepanzen.
Die Russischen Kräfte an der Grenze zur Ukraine
Was wissen wir? Wir haben in den Medien unterschiedliche Bilder gesehen. Gestern wurde in der Tagesschau eine feuernde Raketenbatterie, im Sprachgebrauch als Stalinorgeln bekannt, gezeigt. Ansonsten ein paar Panzer, teilweise auf der Bahn verladen. Wohin die fuhren, war nicht erkennbar. Ansonsten geistert die Zahl von 100.000 Soldaten durch die Medien. Und Habeck spricht natürlich von Panzerarmeen. Ein Philosoph, der ein relativ unbekanntes Kinderbuch verzapft hat, äußert sich plötzlich zu militärischen Sachverhalten. Gedient hat der übrigens auch nicht. Der hat bestimmt Ahnung.
Was könnte sich also hinter diesen 100.000 Mann verbergen?
In vielen Armeen gibt es eine typische Dreiergliederung. Drei Brigaden ergeben eine Division, drei Divisionen ergeben ein Korps, mehrere Korps eine Armee. Das wird zwar nicht stringent durchgehalten, ist aber als Anhalt durchaus verwendbar.
Eine Brigade hat zwischen 1500 und 5000 Soldaten, nehmen wir als Durchschnitt etwa 3000. Zu meiner aktiven Zeit in der Bundeswehr gab es in den russischen Streitkräften keine Brigaden, sie hatten Regimenter. Die Stärken waren aber vergleichbar.
Für die Ebene Division ergibt sich dann eine Personalstärke von etwa 10.000 Mann. Da kommen dann aber noch spzielle Truppenteile hinzu, die es nur auf der Ebene Division gibt. Division bewegt sich dann also bei einer Stärke zwischen 10.000 und 30.000 Mann. Nehmen wir auch hier die Mitte und rechnen weiter mit 20.000. Das heißt ein Korps, bestehend aus drei Divisionen besteht aus 60.000 Mann plus spezielle Verbände des Korps. Ein Korps dürfte also in etwa 80.000 Mann haben.
Nehmen wir einmal an, dass die Zahl 100.000 stimmt, dann handelt es sich vermutlich um ein verstärktes Korps. Und dieses Korps soll also jetzt einen groß angelegte Angriff führen entlang einer Grenze, die etwa 1300 km lang ist.
Deutschland im Kalten Krieg
In Zeiten des kalten Krieges verfügte die Bundeswehr über 12 Divisionen verteilt in drei Korps. (drei Divisionen waren nicht unmittelbar den Korps zugeordnet, sondern hatten andere Aufgaben.) Also auch hier hatten wir diese typische Dreiergliederung. Zur Verteidigung der innerdeutschen Grenze, der Grenze zu Tschechien und Österreich (nur Überwachung) brachte die Bundeswehr 250.000 Soldaten auf. Dazu kamen noch diverse Divisionen der Amerikaner, Engländer und Franzosen. Auf der andern Seite standen etwa 400.000 Soldaten, 100.000 NVA und 300.000 sowjetische. Die Länge der Grenze betrug knapp 700 km.
Nochmals zu Erinnerung. Für einen möglichen Frontverlauf von 700 km standen auf jeder Seite 400.000 Soldaten zu Verfügung. Und jetzt glaubt man tatsächlich die Russen würden an einer doppelt so langen Grenze mit gerade einmal 100.000 Soldaten einen Großangriff planen?
Ja auch 100.000 Soldaten können eine Menge Unfug anrichten. Aber ein großangelegter Angriff ist wohl eher unwahrscheinlich.
Die habeckschen Panzerarmeen
Wieviele Panzer haben die Russen vor Ort? So genau weiß ich das nicht. In der Bundeswehr hat ein Panzerbataillon 44 Panzer. Heute hat die Brigade nur noch ein Bataillon. Früher waren es mal mindestens zwei. Die aktuelle Gliederung kenne ich leider nicht.
Gehen wir mal davon aus, dass die russischen Streitkräfte noch die alte Gliederung fahren, dann kann man davon ausgehen, dass ein Regiment (vergleichbar mit Brigade) etwa 100 Panzer hat. Das verstärkte Korps, von dem ich ausgehe, hätte dann irgendetwas um die 1000 Kampfpanzer. Dazu käme dann noch die doppelte Anzahl an Schützenpanzern. Insgesamt kann man also von 3.000 gepanzerten Fahrzeugen ausgehen.
Die habecksche Panzerschlacht
3.000 Gepanzerte Fahrzeuge auf der einen Seite. Und was steht gegenüber? Derzeit nichts. Glauben sie mal nicht, dass man mal so eben 1.000 Panzer von Deutschland in die Ukraine verlegen kann. Das ist ein erheblicher Aufwand und kostet Zeit. Dabei hat man dann auch noch das Problem, dass entsprechende Eisenbahnwaggons fehlen. Die hat man nach Beendigung des Kalten Krieges abgerüstet. Und auf dem Landmarsch? Über tausend Kilometer im Landmarsch mit Panzern. Allein die Versorgung mit Diesel wird da schon zur Herausforderung. Eine Schlacht ist nur möglich, wenn beide Seite etwas zu bieten haben. Leider ist auf der Ukrainischen Seite nicht viel zu haben. Zu einer Schlacht kann es also gar nicht kommen.
Im Übrigen, ob Deutschland überhaupt etwas dazu beitragen kann, weiß ich nicht. Es ist mir nicht bekannt, wieviele von den wenigen Panzern überhaupt einsatzbereit sind.
Schluss
Ich muss leider feststellen, dass dieser Beitrag doch umfangreicher wird als ich ursprünglich erwartet habe. Deshalb werde ich jetzt unterbrechen und einen zweiten Teil anhängen. Ich will ihnen auch nicht zuviel auf einmal zumuten.
Trotzdem ein kurzes Zwischenfazit
Nach meinen Überlegungen zum militärischen Potential, glaube ich nicht, dass es zu einem groß angelegten Angriff kommen wird. Wenn man militärisch in ein Land einmarschiert, dann muss man es im Nachhinein auch kontrollieren können. Dafür sind diese Streitkräfte viel zu schwach. Man kann sich das mal am Beispiel des Kosovo anschauen. Wieviel Militär hatten wir in diesem kleinen Land und wirklich kontrolliert haben wir es nie.
Nicht auszuschließen ist aber, dass Russland die russischen Gebiete im Osten der Ukraine annektiert. Genauso wie man es mit der Krim getan hat. Möglicherweise testet der Russe momentan nur aus, wie der Westen reagiert, wie weit er gehen kann.
Wie schon zu Beginn gesagt: Ich weiß es nicht, wirklich nicht.
Zu einigen politischen Aspekten werde ich dann im Teil 2 Stellung beziehen.
https://www.achgut.com/artikel/was_will_russland_und_spielt_der_westen_mit_offenen_karten
Eine kluge Analyse. Chapeau!