Die European Championships

Der etwas andere Rückblick

„Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.“
Tom Hanks als Forrest Gump im gleichnamigen Film

Die Spiele

In den letzten zwei Wochen fanden gleichzeitig Europameisterschaften in neun verschiedenen Sportarten statt. Bis auf Schwimmen fanden alles in München statt. Genutzt hat man im Wesentlichen die Sportanlagen der Olympischen Spiele 1972.

Im Allgemeinen werden nach solchen Veranstaltungen die Medaillen gezählt. Man vergleicht sich mit den anderen Nationen und freut sich, wenn man im Medaillenspiegel ganz oben steht. Natürlich habe ich das auch gemacht. Ich bin nun mal ein ausgesprochener Sportfan, mal abgesehen davon, dass ich keinen mehr mache. Und ich freue mich auch, wenn deutsche Sportler Medaillen gewinnen. Mir bedeutet Deutschland noch was im Gegensatz zu unserem Wirtschaftsminister.

Trotzdem möchte ich auch mal andere Aspekte beleuchten. Das mit dem Medaillen zählen überlasse ich den deutschen Qualitätsmedien.

Die Sportarten

Die Sportarten bewegten sich vom Klettersport, über Radsport, Schwimmen (fand in Rom statt), Tischtennis, Beach Volleyball, Ruder- und Kanusport bis hin zur Leichtathletik. Ach ja, Turnen habe ich noch vergessen. Und wenn sie sich die Sportarten mal genauer anschauen, dann handelt es sich durchweg um Sportarten, die in den Medien verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit erhalten. Aber aufgrund der Ballung, lohnt es sich für das Fernsehen, diese groß in das Programm aufzunehmen. Ich finde das immer gut. Denn dadurch sieht man auch mal Sportarten, die sonst maximal einen Drei-Minuten-Beitrag in der Sportschau erhalten. Besonders sind mir hier die drei Klettersportarten Bouldern, Lead und Speed ins Auge gefallen. Faszinierende Sportarten. Dass da dann auch eine deutsche Medaillengewinnerin dabei war, hat die Sache noch abgerundet.

Die Überraschungen

Bei solchen Events gibt es viele erwartbare Ergebnisse. Und wenn die Favoriten Siege einfahren, dann ist das nichts Besonderes. Die Würze solcher Wettkämpfe liegt in den Überraschungen. Es gab derer mit Sicherheit viele. Ich möchte da aber nur einige wenige Herauspicken. Und dass ich dabei die deutsche Brille aufhabe, mögen sie mir verzeihen.

Die Turner

Für eine erste Überraschung haben die Turner gesorgt. Jetzt ist Turnen zwar eine tolle Sportart, sie führt in Deutschland aber eher ein Schattendasein. Und trotzdem gibt es hin und wieder Sportler, die sogar Weltniveau erreichen. Der ehemalige Turner Fabian Hambüchen mag da als Beispiel dienen. Um so überraschender ist, dass unsere Damen im Mannschaftswettbewerb die Bronzemedaille errungen haben. Übrigens die erste Medaille im Mannschaftswettbewerb überhaupt. Dass die Damen dann auch noch zweimal Gold im Einzel erringen, ist dann schon fast folgerichtig, wenn auch nicht unbedingt erwartbar.

Die Leichtathletik

Möglicherweise gibt es noch viele Überraschungen in anderen Sportarten. Die sind mir aber gar nicht so untergekommen, es ist halt eine subjektive Betrachtungsweise. Auffällig sind für mich dann noch einige Ereignisse in der Leichtathletik. Hier ist zu berücksichtigen, dass die Weltmeisterschaften in den USA ausgesprochen schlecht gelaufen waren. Und so hatte man jetzt auch nicht die größten Erwartungen an die deutschen Leichtathlethen.

Sprint der Frauen

Ich hatte schon mal über Gina Lückenkemper, dem Gesicht der deutschen Leichtathletik, erzählt. Die startete im Sprint über 100 Meter. Nach einer eher mageren Saison musste man schon das Erreichen des Finallaufes als Erfolg werten. Aber dann hat sie so richtig einen ausgepackt. So einen Finallauf habe ich lange nicht mehr gesehen. Gina hängt bis 20 Meter vor dem Ziel noch zurück. Und dann geht es richtig ab. Am Ende ist sie in einem Wimpernschlagfinale Europameisterin. Am letzten Tag holte sie dann noch mit der 4×100 Meter-Staffel ihren zweiten Titel. Sie war schon immer eine Wundertüte, in jeder Beziehung.
Und ich war schon immer ein Fan von ihr. Daran wird sich auch jetzt nichts ändern.

Der Zehnkampf

Die zweite Überraschung gelingt unserem Zehnkämpfer Niklas Kaul. Also dass er den Zehnkampf gewinnt, das ist nicht so die ganz große Überraschung. Immerhin ist er der aktuelle Olympiasieger. Aber die Art und Weise, wie er das gemacht hat, ist der helle Wahnsinn.

Der Wettkampf verläuft für ihn eher durchwachsen. Jetzt weiß man allerdings, dass Niklas einen bärenstarken zweiten Tag hinlegen kann. Und trotzdem, vor den letzten beiden Disziplinen liegt er fast aussichtslos hinter dem Schweizer Simon Ehammer zurück. Ich glaube er musste noch über 400 Punkte aufholen. Und dann kommt der Speerwurf. Und da lässt er es dann so richtig krachen. 76 Meter, das hätte sogar bei den Spezialisten zum Finale gereicht. Trotzdem fehlen noch ca. 200 Punkte. Gut 30 Sekunden muss er im abschließenden 1500 Meter-lauf auf den Schweizer gut machen. Kaul ist ein guter Läufer, aber 30 Sekunden? Es gelingt, er wird nach großem Kampf Europameister. Ja, niemals aufgeben, und kämpfen bis zuletzt. Vorbildlich.

3000 Meter Hindernis der Frauen

Eine letzte Überraschung gelingt der 3000 Meter-Hindernis-Läuferin, Lea Meyer. Allein das Erreichen des Finales ist schon ein Erfolg. Und da startet sie einen Tempolauf und wird am Ende überraschend Zweite. Die hatte wirklich keiner auf dem Tableau. Mir war sie bis dahin völlig unbekannt. Aber sie hat ihr Herz in die Hand genommen, ist mutig gelaufen. Und sie hat sich die Herzen der Zuschauer erobert. Vielleicht stand sie bisher im Schatten von Gesa Krause, die Aufgrund einer Erkrankung (nicht Corona) nicht teilnehmen konnte. Und jetzt ist der Knoten geplatzt. Sauber, mach weiter so.

Die Enttäuschungen

Es gab natürlich auch Enttäuschungen. Die möchte ich aber nicht im Einzelnen aufzählen. Hierzu zählt mit Sicherheit die Tischtennisspielerin Nina Mittelham, die aufgrund einer Verletzung das Finale nicht zu Ende bringen konnte. Ja, so etwas tut weh. Aber sie ist noch jung. Sie bekommt noch weitere Chancen.

Wirklich enttäuschend waren die Ruderer. Sonst ein Garant für Medaillen, sogar bei Weltmeisterschaften. Die blieben tatsächlich bei dieser Europameisterschaft ohne Medaille. Das ist absolut ein Salto nullo. Ich bin mir aber sicher, die kommen wieder. Mal abwarten.

Und auch noch etwas Rührendes

Kennen sie noch Ronny Raue? Der war bis zur letzten Saison noch Kanute im Kajak-Vierer. Er beendete dann im letzten Jahr seine aktive Karriere. Seit diesem Jahr ist er dann Experte für den Kanusport im ZDF. Und dann kommt der neu zusammengestellt Kajak-Vierer. Und der wird in überzeugender Manier Europameister. Der Veranstalter hat es dann möglich gemacht, dass Ronny bei der Siegerehrung die Blümchen überreicht. Da wird sich natürlich herzlich umarmt, nicht nur mit dem deutschen Vierer. Scheiß auf Corona.

Gab es Corona?

Ja, es gab Corona. Bevor ich aber auf Einzefälle eingehe, möchte ich erst einmal was Grundlegendes sagen.
Spitzensportler sind wie hochgezüchtete Pferde. Sie sollen ihre höchste Leistungsfähigkeit auf den Punkt genau erreichen. Nur darauf ist ihr Training ausgerichtet. Wenn dieser Trainingsaufbau dann kurz vor dem Wettkampf gestört wird, beispielsweise durch eine Krankheit, dann darf man sich nicht wundern, wenn am Wettkampftag nicht die Topleistung erbracht werden kann. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Krankheit Corona, Grippe, von mir aus auch Tripper heißt. Wenn sogar noch kleine Verletzungen vorliegen, dann ist die Sache unter Umständen sogar noch schlimmer.

Weitsprung

So wurde Malaika Mihambo im Weitsprung mit einer Weite von 7,03 Metern „nur“ Zweite. Vier Wochen vorher hatte sie bei den Weltmeisterschaften noch mit 7,12 Metern gewonnen. Zwischenzeitlich war sie nach ihren Aussagen an Corona erkrankt, und konnte 10 Tage lang nicht richtig trainieren. Gemäß ihrer Aussagen handelt es sich um eine ernsthafte Krankheit.
Also zum Verständnis. Sie hat zwei Wochen vor der Europameisterschaft eine ernsthafte Erkrankung. Und trotzdem startet sie bei diesem Wettkampf. Und nicht nur das, sie erreicht sogar den Silberrang. Wow, das muss wirklich eine sehr ernsthafte Erkrankung gewesen sein.

5.000 Meter Frauen

Dann war da noch Konstanze Klosterhalfen. Die war angeblich noch im Juni an Corona erkrankt. Und nur gut sechs Wochen später wird sie nach einem überzeugenden Lauf Europameisterin über 5.000 Meter, einer Ausdauerstrecke. Entweder die Erkrankung war nicht so wirklich ernsthaft, oder sie hat gedopt. Also, das zweite will ich einfach nicht glauben.

Schwimmen

Ähnliches war auch bei dem Schwimmer Florian Wellbrock der Fall. Der musste dann allerdings die Freiwasserwettkämpfe absagen. Jetzt ist Wellbrock aber Langstreckenschwimmer. Und bei diesen Ausdauersportlern wirkt sich ein Trainingsrückstand nach einer Erkältungskrankheit deutlich stärker aus. An den Hallenwettkämpfen hat er allerdings noch teilgenommen. Über 1.500 Meter ist er sogar noch Fünfter geworden. Ob er ohne Corona gewonnen hätte, ist schwerlich zu sagen.

Es gab noch viele solcher Fälle. Auffällig ist dabei allerdings, sie sind alle bei den Wettkämpfen gestartet und haben trotz ihrer vorangegangenen Corona-Erkrankung ihre Leistung teiweise ohne Abstriche gebracht. Wie schwer diese Erkrankung also ist, da können sie sich selbst ein Bild von machen.
Übrigens, ich hatte es vorhin schon erwähnt, Gesa Krause war so krank, dass sie nicht an den Wettkämpfen teilnehmen konnte. Und es war nicht Corona. Merken sie was?

Die Maskenpflicht

Ach ja, Maskenpflicht gab es wohl keine. Und die Masse hielt sich auch dran. Es ist schön, wenn Interviews ohne diese Gehorsamsfetzen gemacht werden können. Da versteht man die Leute endlich wieder. Und man sieht den Sportlern auch ihre Freude oder Enttäuschung wieder an. Ich finde, das gehört dazu.
Trotzdem liefen immer noch welche, einige wenige, mit Maske rum. Wahrscheinlich ausschließlich Deutsche. Das kann ich aber nicht überprüfen.
Nachvollziehen kann ich es aber nicht. Wenn mir eine solche Veranstaltung aufgrund der Menschenmengen so gefährlich erscheint, dass ich Maske tragen muss, warum gehe ich dann überhaupt dahin?

Gab es eigentlich Doping?

Gehört hat man zumindestens nichts. Gut, die Russen dürfen ja nicht mehr mitmachen. Und Afrikaner gehören nicht zu Europa. Chinesen auch nicht. Ich nehme an, dass es immer noch Doping gibt. Aber die Hauptverdächtigen nehmen in Europa ja nicht Teil. Also eine Veranstaltung ohne jeglichen Skandal? Hat Hajo Seppelt, der Mann in der ARD-Dopingredaktion wirklich nichts zu tun?

Nun, wenn mit Doping nichts geht, dann muss was anderes herhalten. Diesmal geht es um sexuellen Mißbrauch im Bereich des deutschen Schwimmverbandes. Dazu werde ich in den nächsten Tagen möglicherweise noch einen Kurzbericht fertigen.
Nur soviel. Die geschilderten Fälle liegen schon Jahrzehnte zurück und führen in die DDR Vergangenheit. Soll nicht heißen, dass es so etwas im Westen nicht gibt. Kommt in Seppelts Beitrag nur nicht zur Sprache. Nun gut, ohne Skandal geht es im deutschen Fernsehen halt nicht. Warum recherchiert der Seppelt eigentlich nicht einfach mal im eigenen Laden? Bei ARD und ZDF sind sie mitten drin statt nur dabei.

Sexismus im Sport

Derzeit redet ja alles über Sexismus und Gendergerechtigkeit. Aber haben sie sich mal die Sportbekleidung der Sportler angeschaut. Außer beim Beachvolleyball gibt es keine Kleiderordnung. Vorgegeben ist nur, dass kein Verletzungsrisiko besteht. Kettchen und Ringe oder Piercings im Mannschaftssport. Und haben sie die Bekleidung der Leichtathleten gesehen? Viele Frauen laufen da mit Bauchnabel frei rum. Nicht, dass mich das stört. Jeder soll Tragen, was für ihn am besten ist. Aber dann sollen diese Feministinnen aufhören zu klagen, sie würden nur auf ihre Weiblichkeit reduziert.

In diesem Zusammenhang wurde auch Heide Ecker Rosendahl interviewt. Während der olympischen Spiel 1972 war der Unterkunftsbereich der Frauen noch eingezäunt. Die Frauen konnten zwar die Männer besuchen, umgekehrt war das nicht möglich. Den Männern hat man also schon damals nicht getraut. Hat sich ja nicht viel geändert.

Zusammenfassung

Großveranstaltungen gehen immer noch, auch in Deutschland. Und wenn man sich Mühe gibt, dann kann man sogar vorhandene Sportstätten nutzen. Das wirkt sich deutlich auf die Nachhaltigkeit aus. Vielleicht hat das ja auch Einfluss auf Olympische Spiele der Zukunft. Es gibt nämlich viel zu viele Sportstätten, die außer einmal zu Olympischen Spielen nie mehr genutzt werden.
Der Gigantismus des IOC sollte jetzt endlich ein Ende haben. Gilt natürlich auch für andere Sportarten, beispielsweise für den Fußball. Bin mal gespannt, was mit den Stadien in Katar nach der WM passiert.

Ob die Blumenpflanzen, die anstelle von Blumensträußen vergeben wurden, wirklich zur Nachhaltigkeit beitragen, darüber kann man streiten.

Bei den Ergebnissen gab es Grund zur Freude, aber auch Grund zur Nachdenklichkeit. Auffällig ist, dass hinter den Topsportlern kaum eine zweite Reihe existiert. Stimmt vielleicht doch nicht alles mit der Nachwuchsförderung?

Zum Scluss noch eine Anmerkung zum Spitzensport

Immer wieder taucht die Frage auf, brauchen wir den Spitzensport überhaupt? Der ist so teuer, und mich interessieren Medaillen ja überhaupt nicht. Ja, das kann man so sehen. Stellen sie sich aber dann bitte auch die Frage, warum junge Menschen überhaupt Sport machen? Weil sie dort Vorbilder haben.
In meiner Jugend wollten viele sein wie Uwe Seeler, oder Franz Beckenbauer. Vielleicht auch Gerd Müller. Keiner wollte so sein wie Karl aus der Kreisklasse. Ich als Handballer schwärmte für Jo Deckarm oder Erhard Wunderlich. Fribo aus unserer ersten Mannschaft war zwar ein Kumpel, als Idol eignete er sich eher nicht. Bei den Turnern ist es Fabian Hambüchen oder Elisabeth Seitz. Ja wir brauchen für unsere Jugendlichen diese Idole. Und die bietet letztlich nur der Leistungssport.
Egal wo und was sie tun. Sie brauchen Vorbilder und Idole. Und die finden sie in der Spitze, nicht in der Breite.

In diesem Zusammenhang frage ich mich gerade, wer eigentlich das Vorbild von Ricarda Lang oder Emilia Fester ist.

Kommentar verfassen