Das 9-Euro-Ticket – Die Propagandamaschine läuft

“ Journalismus ist etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Propaganda.“
George Orwell, (englischer Schriftsteller)

Der 1. Juni

Ja, der 1. Juni ist da. Das ist der Start für ein großes Entlastungspaket. Es kommt das 9-Euro-Ticket. Dabei handelt es sich um eine Monatskarte für den ÖPNV. Gültig ist sie bundesweit in allen Nahverkehrsnetzen. Theoretisch könnten sie für 9 Euro von Hamburg nach München mit der Bahn fahren. Sie müssen sich lediglich von Verkehrsverbund zu Verkehrsverbund durchhangeln. Allerdings sollten sie ein wenig Zeit mitbringen.
Gibt es dafür schon einen Begriff? Ich würde Verkehrsverbundhopping vorschlagen.

Was bringt das Ganze?

Eigentlich ist das Ticket für den Nahverkehr gedacht. Für Leute die täglich pendeln müssen. Ob es für die wirklich etwas bringt, muss noch abgewartet werden. Ich hatte mich da schon einmal in einem Beitrag (Dies und Das am 8. Mai) geäußert. Da bin ich von der Annahme ausgegangen, dass sich bei der Auslastung der Bahn nicht viel ändern wird. Das glaube ich auch jetzt noch. Was ich allerdings über sehen hatte, Anfang Juni kommt das Pfingstwochenende.

Das Pfingstwochenende

Das lange Pfingstwochenende hat schon immer zu einem Kurzurlaub eingeladen. Das ist nicht neu. Da es da meistens schon ziemlich warm ist, zieht es viele an die Nord- und Ostsee. Und genau jetzt kommt das 9-Euro-Ticket. Das lockt Abenteurer. Im MOMA ist da heute eine Kurzreportage aufgezeichnet worden. Sollten sie mal reinschauen, Dauer knapp 5 Minuten.
Da startet eine Dame in Hannover. Sie will nach Büsum an die Nordsee. Dauert normalerweise 3 1/2 Stunden. Heute braucht sie über sechs Stunden. Und am Ende der Bahnstrecke sucht sie einen Busanschluss. Leider Fehlanzeige. Also noch ein wenig Fußweg. Am Ende meint sie, dass der Ausblick auf die Nordsee doch herrlich sei, und das alles für nur 9 Euro.

Dass in diesem Beitrag natürlich auch Corona und Ukraine-Flüchtlinge eine Rolle spielen, ist beim Propagandafernsehen eigentlich zu erwarten.

Was nicht angesprochen wurde

Der Preis

Wenn sie mit vier Personen unterwegs sind, dann müssen sie für jeden die neun Euro berappen. Das summiert sich dann schon auf 36 Euro. Damit kann ich selbst bei den derzeitigen Spritpreisen einige Kilometer fahren. 36 Euro ergibt etwa 18 Liter Diesel, und damit komme ich definitiv 250 Kilometer weit.

Die Züge warengnadenlos überfüllt.

Irgendwie erinnert mich das an die Rushhour in Tokio. An die Verhältnisse der Eisenbahn in Indien kommt es Gott sei Dank noch nicht heran. Wenn man so etwas mitmacht für vielleicht sechs Stunden an der Nordsee, dann muss man schon ziemlich leidensfähig sein.

Die Fahrzeit

Für die Fahrzeit muss man berücksichtigen, dass diese unter Umständen doppelt so lange ist wie sonst. Für die Fahrt von Hannover nach Büsum benötigte unsere Dame über sechs Stunden. Was uns der MOMA-Beitrag allerdings verschweigt, es handelte sich um eine Tagestour. Das heißt, sie muss die gleiche Strecke auch wieder zurück.
Machen wir mal ein Spiel. Sie startet morgens um 6.00 Uhr in Hannover. Kurz nach zwölf erreicht sie endlich Büsum. Spätestens um 18.00 Uhr muss sie wieder los, damit sie gegen 24.00 Uhr wieder in Hannover angekommt. 12 Stunden Bahnfahrt für 6 Stunden Nordsee, das ist wirklich nur was für Hartgesottene.

Die Familien

Stellen sie sich jetzt einmal vor, sie würden das mit einer vierköpfigen Familie machen. Zwei Erwachsene, zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren. Sie brauchen deutlich mehr Gepäck, vielleicht sogar noch einen Kinderwagen. Und jetzt stellen sie sich auch noch vor, sie finden keinen Sitzplatz. Das heißt sechs Stunden im Stehen mit dann logischerweise quängelnden Kindern. Da bleibt man dann lieber zu Hause. Und man sieht es wieder einmal, die die es am nötigsten brauchen, haben von dem 9-Euro-Ticket erst einmal gar nichts.
Merkwürdig, Familien mit Kindern habe ich in keinem einzigen Bild in dieser Berichterstattungen entdecken können. Dazu wird aber nichts gesagt. Würde ja den Erfolg schmälern.

Das Personal

Das Personal war für diesen Ansturm viel zu knapp. Aber auf die Schnelle neues einstellen, geht eben auch nicht. Also haben viele Bahner Überstunden geschrubbt. Das kann man definitiv nicht jedes Wochenende wiederholen.
Die Forderung der Grünen, mehr Menschen auf die Bahn zu holen ist ehrenwert. Wenn die Bahn das aber aufgrund von Personal- und Materialknappheit nicht verwirklichen kann, dann wird das immer ein frommer Wunsch bleiben. Aber bei frommen Wünschen waren die Grünen ja schon immer gut.
Nur mal nebenbei, habe gerade ein Interview mit Renate Künast zu einem anderen Thema gesehen. Außer frommen Wünschen und den üblichen Parolen gähnende Leere. (6 min Kühnast, wer sich es halt antun möchte)

Fazit

Wochenendreisen mit dem 9-Euro-Ticket haben etwas von Abenteuer, vieleicht sogar was von Masochismus. In wieweit sich das Ticket im Normalbetrieb bewährt, bleibt abzuwarten. Ich glaube nicht, dass die Bahn auf Dauer die Fahrgastzahlen erhöhen kann. Vor allem auch deshalb, weil nach der Aktion spätestens im September saftige Preiserhöhungen erwartet werden dürfen.

Und für die viele war das mal ein Abenteuer. Ob die es nochmals wiederholen? Jedenfalls nicht alle. Und wer diese Erlebnis unbedingt haben möchte, wie wäre es mal für eine Woche in Indien.
Und das Personalproblem bei der Bahn ist auch noch nicht gelöst.

Weitere Links zum Thema

https://www.spiegel.de/wirtschaft/9-euro-ticket-an-pfingsten-400-ueberfuellte-zuege-a-e65ff67d-8e01-41a1-a51f-7034525611ff

https://www.welt.de/wirtschaft/article239213671/9-Euro-Ticket-Ansturm-an-Pfingsten-Ueberfuellte-Zuege-mussten-geraeumt-werden.html

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