Ein Angriff auf die Demokratie

Bundestag verabschiedet Wahlrechts-Reform

„Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.“
Winston Churchill

Das deutsche Parlament

Unser Parlament ist in den letzten Jahren immer gewachsen. Mittlerweile sitzen da gut 700 Abgeordnete. Eigentlich sind aber nur 598 vorgesehen. Schon lange hat man festgestellt, dass das Ganze ausufert. Also will man das Wahlrecht so ändern, dass man die Anzahl der Abgeordneten begrenzt.

Mehrheitswahlrecht

Deutschland hat 400 Landkreise und kreisfreie Städte. Stellen sie sich einmal vor, in jedem dieser Landkreise steht ein Abgeordneter zur Wahl. Dann wählt der Bürger aus den verschiedenen Kandidaten einen aus. „The first wins the seat“, so sagt man dazu in England. Also, der Kandidat mit den meisten Stimmen zieht in das Parlament ein. Halten sie das für gerecht? Bevor sie sich dazu Gedanken machen, sollte ihnen eines klar sein. Das Mehrheitswahlrecht wird beispielsweise in England und den USA angewandt. Und sind diese Staaten etwa nicht demokratisch?

Okay, keine Berücksichtigung hat in meinem Beispiel die unterschiedliche Anzahl der Wähler in den Landkreisen. Frankfurt hat deutlich mehr Einwohner als der Landkreis Nienburg. Aber sind deshalb die Angelegenheiten der Stadt Frankfurt wichtiger als denen von Nienburg. Nun, da mit der Einwohnerzahl kann man dadurch abfangen, dass man Wahlkreise einrichtet. Die sind dann aber nicht deckungsgleich mit der Verwaltungsstruktur. Und das macht es dann unübersichtlich.

Der entscheidende Vorteil dieses Mehrheitswahlrechtes ist aber, dass der gewählte Abgeordnete im Wahl- oder Landkreis bekannt ist. Hier haben die Bürger den Abgeordneten direkt gewählt. Ich finde, dass unter diesen Umständen der Abgeordnete eine hohe Legitimation erhält.

Verhältniswahlrecht

Auf der anderen Seite steht dann das Verhältniswahlrecht. Hier stellen Parteien Listen auf. Wer auf dieser Liste steht, darauf hat der Bürger unmittelbar keinen Einfluss. Der Wähler kann in diesem Fall nur die gesamte Liste wählen. Wenn ich mich also für so eine Liste (Partei) entscheide, denn muss ich unter Umständen auch Leute mitwählen, die eigentlich gar nicht wählen will. Das findet man aber unter Umständen in jeder Partei. Ende vom Lied wäre, ich wähle überhaupt nicht. Nun, das ist auch keine Lösung.
Wie dem auch sei, am Ende der Wahl besetzt man die Plätze im Parlament im Verhältnis des Wahlergebnisses. Und zwar beginnt es immer am Listenplatz eins und geht den in der numerischen Folge weiter. Der Listenplatz hat so für den potentiellen Abgeordneten durchaus eine große Bedeutung.

Auch diese Form von Wahlen gibt es in vielen Ländern. Ich meine, in der Schweiz wählt man so, zumindest auf der kantonalen Ebene. Ich bin mir aber nicht sicher.

Und wie sieht das in Deutschland aus?

In Deutschland kombiniert man die beiden Verfahren. 299 Wahlkreise, in jedem Kreis wird ein Abgeordneter gemäß Mehrheitswahlrecht gewählt. Damit sind schon einmal 299 Abgeordnete gesetzt.
Dann haben wir aber auch noch eine Zweitstimme. Damit wählen wir die Parteilisten. Aus diesen Stimmen werden dann die Verhältnisse errechnet, nach denen dann die Sitze im Parlament verteilt werden. Normalerweise sollten auch das 299 Sitze sein.

Und jetzt kommen die Besonderheiten

Jetzt kann es passieren, dass eine Partei mit ihren Direktmandaten mehr Sitze errungen hat, als ihr gemäß der errechneten Verhältnisse zustehen. Sie erhält also Überhangsmandate. Allein dadurch wird das Parlament schon größer als vorgesehen. Jetzt glaubt man aber, dass sei gegenüber den anderen Parteien ungerecht. Also muss man Ausgleichsmandate schaffen, damit das Verhältnis dem Wahlergebnis entspricht. Also kommen weitere Abgeordnete hinzu. Sie merken schon, der Bundestag wird immer größer.

Und noch ein Knackpunkt

Normalerweise gilt in Deutschland die Fünf-Prozent-Hürde. Eine Partei, die keine fünf Prozent erreicht, zieht nicht in den Bundestag ein. Das ist das Ergebnis der Erfahrungen aus der Weimarer-Republik.
Es gibt aber eine Ausnahme. Wenn eine Partei mindestens drei Direktmandate erzielt, dann gilt diese Hürde nicht. Aus diesem Grund ist die Linke auch mit 4,9 Prozent in den Bundestag eingezogen. Und natürlich müssen dann die Verhältnisse wieder angepasst werden.

Das neue Wahlrecht

Mit dem neuen Wahlrecht soll der Bundestag auf 630 Abgeordnete begrenzt werden. Es wird aber nach wie vor so gewählt wie bisher. Allerdings ist der Gewinner eines Wahlkreises nicht automatisch im Parlament. Denn wenn die Partei gemäß dem Wahlergebnis der Verhältniswahl weniger Sitze erhält, als sie Direktmandate hat, dann sollen die schwächsten Direktkandidaten nicht in den Bundestag einziehen.

Das halte ich für höchst undemokratisch. Da ist ein Kandidat direkt vom Wähler gewählt, und dann zieht der nicht ins Parlament ein? Stattdessen werden die Sitze mit Leuten besetzt, die auf einer Liste stehen, auf die der Wähler nicht einmal Einfluss hat. Das kann in meinen Augen nicht richtig sein.

Wem schadet das am meisten

Nun, die Linken wären nach dieser Wahlrechtsreform nicht im Bundestag vertreten. 4,9 Prozent reichen halt nicht. Da helfen auch die drei Direktmandate nicht. Da sehe ich aber noch nicht einmal ein so ganz großes Problem. Die Linken sind halt nur eine Splitterpartei.

Problematischer sehe ich das bei der CSU. Die hatte bei der Bundestagswahl gerade einmal 5,2 Prozent erreicht. Bei Bundestagswahlen zählen halt die Länder nicht. Auch hier könnte man sagen, wenn die keine fünf Prozent erreichen, dann war es das halt. Hier sollte man aber berücksichtigen, dass die CSU bei der letzten Bundestagswahl 45 Direktmandate erreicht hat. Hätte da das neue Wahlrecht schon gegolten, dann hätten sieben Wahlkreisgewinner keinen Platz im Parlament erhalten. Und wenn sie dann noch die fünf-Prozent-Hürde reißen, dann fallen sogar alle Wahlkreisgewinner hinten runter. Es ist klar, dass bei dieser Neuordnung besonders die Kleinen verlieren. Aber ob das in diesem Falle noch demokratisch zu nennen ist, darf durchaus in Frage gestellt werden.

Was ich nicht verstehe

Das Abstimmungsverhalten der CDU ist für mich in diesem Falle höchst dubios. Ist die Union doch erheblich abhängig von der Schwesterpartei CSU. Vor allem auch deshalb, weil die CSU allen Schwierigkeiten zum Trotz immer noch hervorragende Ergebnisse einfährt. Und dann stimmt diese Partei tatsächlich für ein Gesetz, welches dem sicheren Koalitionspartner erheblich schaden könnte. Für so dumm habe ich eigentlich bisher nur die Grünen gehalten.

Wer sind die Gewinner

Das ist eigentlich ziemlich einfach zu beantworten. Da im neuen Wahlrecht die Verhältniswahl über alles andere gestellt wird, gewinnen die Parteien, die kaum Direktmandate erringen. Das betrifft insbesondere die Grünen und die FDP. das neue Wahlrecht hilft also vor allem den Ampel-Parteien. Da kann man mal sehen, wie man sich die Opposition vom Hals schafft.

Wie würde ich das machen?

Es ist immer die Frage, welches Wahlrecht für sie demokratischer erscheint. Für mich ist das Mehrheitswahlrecht das deutlich demokratischere. Auch wenn dabei in Kauf genommen werden muss, dass kleinere Parteien hinten runterfallen. Aber nur im Mehrheitswahlrecht kann ich einen Kandidaten direkt wählen. Mehr basisorientierte Demokratie geht in meinen Augen nicht.

Deshalb würde ich die Hälfte des Parlamentes mit diesen Direktkandidaten besetzen, unabhängig vom Ergebnis der Verhältniswahl. Die andere Hälfte kann dann mit Kandidaten der Listen besetzt werden ohne Berücksichtigung der Direktkandidaten. Natürlich werden die Verhältnisse im Gesamtparlament nicht genau wieder gespiegelt. Aber die direkt gewählten Vertreter erhalten dadurch die Bedeutung, die sie meiner Meinung nach haben müssen.

Fazit

Das neue Wahlrecht bevorzugt eindeutig die Ampelparteien. Was mich dabei wundert, dass solch grundlegenden Entscheidungen nur mit einfacher Mehrheit im Parlament entschieden werden können.
Dass CSU und Linke jetzt den Weg zum Verfassungsgericht gehen, ist für mich nachvollziehbar.

Für mich bedeuten die neuen Regelungen den Weg von einer transparenten direkten Demokratie zu eine anonymen Parteiendemokratie. Hundert Prozentige Gerechtigkeit gibt es nie. Aber Direktkandidaten hinten runter fallen zu lassen, halte ich für höchst undemokratisch.

Lesen sie auch Tagesschau.de.

Kommentar verfassen